Das Zeitliche segnen – Was wir alle vom Skorpion lernen können
Heutzutage lautet das Motto an Halloween jedenfalls: Man mische – oder wische, mit dem Besen natürlich – alle Bräuche zusammen, die wir zu fassen kriegen, und heraus kommt ein lautes Gepolter voller Süßigkeiten bis hin zum Zuckerschock. Das verkürzt das Leben garantiert, nur so am Rande bemerkt. Doch jeder wie er mag. Solange es hilft, mit der Angst vor Vergänglichkeit klarzukommen. Aber tut es das wirklich?
Reif für „die Insel“
Ja, es ist Herbst, die Natur stirbt, scheinbar. Auch sie ist zwischendurch reif für die Insel, man kann es ihr nicht verdenken. Sie war übers Jahr doch recht (re)produktiv und hat unermüdlich Flora und Fauna ins Leben (zurück)gerufen. Wenn sie die Geister ruft, kriegen wir ebenfalls das Herzflattern, jedoch vor Freude. Je mehr es grünt und blüht, zwitschert, singt und fiept, desto mehr kommen unsere Glückshormone in Fahrt. Alles ist so voller Leben, wer denkt da ans Ableben?
Die ersten Gedanken in diese Richtung tauchen vielleicht im Sommer auf, wenn das Grün dunkler wird und Mutter Natur schon etwas müde wirkt, wenn Hitze und Trockenheit ihren Tribut fordern. Jetzt stürzen sich auch massenhaft menschliche Erholungssuchende in vermeintliche Traumurlaubsdestinationen, und hängen auf Hin- und Rückweg auf Flughäfen und Bahnhöfen herum und fest, was den Stresslevel noch erhöht. Ein Bad in der Menge kann durchaus vitalisierend, eine Meditation in der Gruppe eindeutig aufs Loslassen und Einsinken verstärkend wirken. Doch eine ungeduldige und frustrierte Masse verstärkt eben ebenso den Stress. Hier wäre etwas mehr Maß statt Masse weniger kräftezehrend. Warum überhaupt in die Ferne schweifen? Wie so oft liegt das Gute doch so nahe. Im Grunde braucht es keine Ferieninsel zur Regeneration der Lebensgeister, man kann sich seine Inseln überall schaffen, ganz ohne stressiges Packen und Reisen. „Einfach mal einsinken in den Moment, sich ganz einlassen“ rät der Skorpion in uns, egal ob im Urlaub, im Stau, im tosenden Alltag. Die Zukunft existiert nicht, denn was vor uns liegt, ist morgen schon Schnee von gestern. Was kümmert uns also das Sterben von morgen? Hier und jetzt leben wir, genau in diesem Moment. Außerdem ...
Platz für Neues
Beschwören wir den Geist der Unsterblichkeit, ist das auf den ersten Blick eine Erleichterung. „Juhu! Ich lebe ewig! Jetzt habe ich Zeit zum Versauen und bis zum Abwinken. Ich kann alles auf morgen verschieben, ganz ohne Sorgen, denn auch morgen bin ich noch da, und übermorgen und in hundert Jahren, in tausend ...“. Bei dieser Vorstellung schleicht sich eine neue Angst ein, die Angst vor dem Leben, denn was für ein Leben wäre das? Da wird wohl jedem klar, was ewig währt, hat keinen Wert. Körper, Beziehung, Leben … alles wäre selbstverständlich, und was selbstverständlich ist, kostet uns kein müdes Lächeln und generiert null Aufmerksamkeit. Wir würden es bald müde, ja leid, zu leben, nicht erst nach Jahrhunderten, und hätten das dringende Bedürfnis, die Muppet-Show verlassen zu können und einfach nur zu schlafen, zu vergessen, so wie es vielen gegen Ende ihres Lebens geht. Sie sehnen sich nach dem Tod.
Während wir in unserer privaten Muppet-Show herumhampeln, sterben still und leise unzählige Zellen in unserem Körper, ganz von selbst und völlig frei von Heulen und Zähneklappern. Und zwar das ganze Jahr über. Würden sie das nicht, hätten wir ein Problem. Weil sie sterben, leben wir. Und man stelle sich vor, unsere Ahnen würden alle noch leben. Da gäbe es doch längst für keinen mehr einen Platz an der Sonne. Die Erde wäre so dermaßen voll, ja NOCH voller, dass wir womöglich runterfallen würden. Diesen Geist wollen wir jedoch besser auch nicht beschwören. Ihr Abtreten ist also gewissermaßen ein Liebesdienst, ebenso wenn wir abtreten und den Platz frei machen für nachfolgende Generationen, und das werden wir.
Der Tod, ein Jungbrunnen
Es gibt viele Witze und Anekdoten über den Versuch, den Tod auszutricksen. Es sei an dieser Stelle verraten, dass keiner der Tricks funktioniert. Einer rast beispielsweise blitzschnell in eine andere Stadt, als Gevatter Tod vor seiner Türe steht. Als er dort ankommt, wartet schon der Tod auf ihn und sagt: „Warum hat das so lange gedauert?!“. Beim Versuch, das Unabwendbare doch noch abzuwenden, stellen wir eben allerlei Verrücktheiten an. Doch wenn wir dereinst dem Ruf folgen und uns bis auf die Knochen ausziehen, dann … entdecken wir, Überraschung!, die ganze Angst war umsonst. Am Ende sind wir doch einfach, was wir sind, nämlich „das nie Geborene, das nie Sterbende, das Ewige“, das sich immer wieder neu verkörpert, weil es noch etwas erleben will, fühlen, lieben, erfahren und begreifen.
Der Tod ist also bei genauer Betrachtung ein Jungbrunnen. Beim Sterben tauchen wir hinein. Sobald unser Geist, erfrischt und regeneriert, ins Leben zurück gerufen wird, tauchen wir wieder auf, schlüpfen in ein neues Körperkleid, und der Schleier des Vergessens legt sich erneut darüber. Wir drehen eine weitere Runde im Frühling des neuen Lebens, so wie alles in der Natur. Dann ist es wieder, als gäbe es kein Morgen, kein Sterben und Vergehen. Im Grunde sind auch wir eine Zelle eines größeren Ganzen, eines riesigen Organismus, die sich immer wieder erneuert, bei Tag und bei Nacht. Wohin das führt? Schwer vorstellbar, denn die Ewigkeit lässt sich gedanklich nicht begreifen. Es zu versuchen mag inspirieren, oder auch nur verwirren, vielleicht sollten wir DIESEN Geist also besser auch nicht rufen. Am Ende liegt bekanntlich in jedem Ende immer wieder ein neuer Anfang, doch die Essenz, die sich verkörpert, ist tatsächlich unsterblich. Und genau das ist doch die Nachricht, die der Skorpion uns vermittelt. Nichts geht verloren, es verwandelt sich bloß. Wenn das kein Versprechen ist?
Fazit: Dass alles im Leben nur auf Zeit ist, trägt viel zu einem erfüllten Leben bei. So erhält auch der Begriff „das Zeitliche segnen“ seine wahre Bedeutung, denn alles Zeitliche ist letztendlich gesegnet durch seine Vergänglichkeit.
© tina peel
Den Skorpion fürs Sternbild Magazin auf den Punkt gebracht |