Wie zwei Seiten einer Münze DER STIER UND SEIN SCHATTEN

Es ist wie beim Stafettenlauf, der Widder erobert für uns neue Reviere. Dafür ist er gerannt, deshalb wollte er der Erste sein, um sich das beste Revier zu sichern. Ist ihm das gelungen, stellt er seine Flagge auf und damit hat es sich für ihn. Er gibt den Stab weiter an den Stier, es gibt schließlich noch andere Reviere, die er erobern will.

Und da steht er nun, der Stier, auf seinem Revier und beginnt gemütlich zu grasen. Ein dünner Elektrozaun drumherum zeigt ihm, wie weit seine Wiese reicht, was er alles abgrasen kann, ohne Probleme zu kriegen. Der Zaun hält gleichzeitig ungebetene Besucher fern, so fühlt er sich sicher. An seiner Seite grast friedlich seine Kuh, die gehört auch dazu. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann grasen sie noch heute zufrieden vor sich hin … bis die Weide abgekaut ist, oder ein paar Lebensmüde SEINE Weide entern. Haben die denn den Zaun nicht gesehen? Was machen die da? Das ist mein Gras, meine Wiese! Die wollen mir was wegnehmen! Das ist ein rotes Tuch für ihn, und schon ist es aus mit der Gemütlichkeit. Der Stier verteidigt sein Revier und walzt alles platt, was ihm zu nahe kommt.


Des Stiers B-Seite

Hat unser Stier-Teil mal was ergattert, sei es einen Job, der zumindest die Existenz deckt, eine Beziehung, so dass er nicht allein ist, ein Dach über dem Kopf zum Schutz vor Wind und Wetter, ja überhaupt einen Körper, dann ist er zufrieden, sanft und zärtlich wie ein Lamm. Doch der Unterhalt seiner Weide verschlingt Unsummen an Zeit, Geld und Ressourcen. Der Haushalt ist ein Moloch, der täglich gefüttert werden will. Seine Liebste braucht immer wieder neue Kleidung, Schmuck, Kosmetik. Er selbst will wahrscheinlich elektronisch immer auf dem neusten Stand sein, und ein cooles Auto will er auch. Und dann ist da noch das leidige Thema Steueramt, das ihm das saftigste Gras vor der Nase wegfuttert – auch ein rotes Tuch für ihn. Das muss verhindert werden!

Dummerweise lässt sich das nicht verhindern, was auch gut ist, wie wir gleich sehen werden. Die B-Seite des Stiers ist nicht rein zufällig der Skorpion. ALLES, was er sich aneignet, muss er sowieso wieder hergeben, das Haus, die Kuh, das Auto, den Körper – und zwar nicht dem Steueramt, denn nichts (Materielles) hat Bestand. Ist die Wiese irgendwann abgegrast, die Beziehung vielleicht ausgelutscht, der Körper verbraucht, ist es Zeit, weiterzuziehen. Und wäre es anders, hätten wir nichts davon, denn ...


Sicherheit killt Wertschätzung

Diesem Teil von uns, welcher der Stier verkörpert, ist Beständigkeit wichtig. Er liebt grundsätzlich das Leben, und was er liebt, dafür setzt er sich ein, mit all seiner Kraft. Ihm und seinem symbolisch massiven Körpergewicht verdanken wir, dass wir uns verankern können, wo auch immer wir unsere Zelte aufschlagen. Er ist für die Bodenhaftung zuständig, und solange alles seinen gewohnten Gang geht, ist er friedlich und freundlich. Doch der Trott hat einen Haken: Er wirkt einschläfernd, wiegt uns in falscher Sicherheit und das wirkt sich auf unseren Umgang aus. Wir neigen dazu, was wir haben, mit der Zeit als selbstverständlich zu betrachten – ja auch, was wir sind und überhaupt alles, was immer verfügbar ist. Wie das Gratishandy alle zwei Jahre bei neuem Vertragsabschluss. Anfangs lieben wir es, sind begeistert von den Neuerungen. Doch dann kommt ein neues auf den Markt, das alte hat ausgedient, wir lieben es nicht mehr, es geht kaputt. Selbstverständlich erhalten wir sofort Ersatz. Dass es kaputt geht, liegt also nicht nur an der Technik, die in der Massenproduktion ebenso lieblos geworden ist, es liegt an mangelnder Wertschätzung.

Das gilt ebenso für unsere Beziehungen. Hat man einander erobert – der Widder hatte sich ins Zeug gelegt und gewonnen – und haben wir nach einer Weile unseren Trott gefunden und uns aneinander gewöhnt, rühren wir keinen Finger mehr, um die Beziehung zu unterhalten. Sie ist selbstverständlich geworden. Dann kommt es, wie es kommen muss, der Schatten wird aktiv.

Sicherheit killt Wertschätzung und mangelnde Wertschätzung killt dann das, was wir nicht wertschätzen. Dafür sorgt der Skorpion. Wie oft können wir etwas oder jemand erst schätzen, wenn es nicht mehr da ist? Sehr oft. Da merken wir erst, was es uns tatsächlich bedeutet, doch jetzt ist es zu spät, oder?


Es ist nie zu spät

… für mehr Wertschätzung! sagt der Skorpion. Es gibt im Leben keine Sicherheit, auch wenn der Stier in uns konstant danach sucht und den Trott, bei dem wir uns sicher fühlen, tatsächlich immer wieder findet, für eine Weile. Beständigkeit liegt allein im Wandel. Der Stachel der Sterblichkeit mag unangenehm sein, es tut weh, zu erkennen, dass alles auf Zeit ist und wir es wieder hergeben müssen, wenn er uns trifft. Doch es ist gleichzeitig auch heilsam. Je eher wir das erkennen, umso entwickeln wir Wertschätzung. Für andere nicht immer da zu sein, immer verfügbar, ständig bereit, zu helfen, steigert ebenfalls unseren Wert in den Augen anderer. Zu wissen, dass Beziehungen nicht für die Ewigkeit und insofern nicht selbstverständlich sind, ist gleichermaßen beängstigend wie es sie auch zu etwas Besonderem macht.

Auch die eigenen Grenzen zu ziehen, ist eine Frage des Respekts und gelebte Wertschätzung. Da entsteht die viel gepriesene Selbstliebe von selbst. Es ist ja auch völlig unmöglich, ständig für andere da zu sein, das liegt schon rein körperlich nicht drin, geschweige denn zeitlich, und wäre auch nicht sinnvoll. Es ist wichtig, nicht immer verfügbar zu sein. WEIL sie uns nicht dauernd haben können, ist unsere Zeit und Aufmerksamkeit, die wir andern schenken, für sie besonders wertvoll.


Fazit

NICHTS ist selbstverständlich! Alles ist auf Zeit, nichts gehört uns wirklich, gottlob! Würden die Dinge nicht kommen und gehen, sondern ewig bleiben, würden wir erst recht in Müll und nutzlosen Dingen untergehen. Vieles bleibt uns zwar dennoch länger erhalten, als uns lieb ist. Plastikmüll, radioaktive Verseuchung, so manche Schwiegermutter – nicht meine, die liebe ich heiß! – und doch wächst auch darüber irgendwann Gras im Laufe der Zeit. Bis der nächste Stier auftaucht und sich darüber hermacht, im Schlepptau den Haushaltsmoloch und das Steueramt.

Der Stier in uns soll sich ruhig über die Weide hermachen. Sein Schatten, der Skorpion, sorgt dafür, dass er es sich nicht zu gemütlich macht und dadurch seine Sorgfaltspflicht vergisst. So kann er es erst richtig schätzen, genießen und hat ganz viel davon. Und falls er wieder in einen Trott zu verfallen und lethargisch zu werden droht, pikst ihn der Skorpion mit seinem Stachel und weckt ihn auf. So bleiben dem Stier Liebe und Wertschätzung erhalten und dafür gebührt doch seinem Schatten unser Dank.

©tinapeel

für Allgeiers Sternbild Magazin auf den Punkt gebracht

Was zuvor geschah:
* Der Widder und sein Schatten







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